Kongress 2021

Rückblick 2021

Spezialisten gesucht

Die Volldigitalisierung der Verwaltung erfordert geschultes Personal

Was kommt nach dem OZG? Das OZG 2.0 oder ein wie auch immer ausformuliertes ODG, also ein Online-Durchführungsgesetz? Wie auch immer die neuen gesetzlichen Vorschriften genannt werden, eines steht fest: Das OZG ist erst der Anfang. Damit die weiter fortschreitende Digitalisierung nicht zum Chaos verkommt, braucht es neben vielen anderen Dingen vor allem gut ausgebildetes Personal.

„Ich finde den Begriff OZG 2.0 unglücklich, denn wir wollen ja nicht nur den Zugang regeln“, so Staatssekretär Patrick Burghardt, CIO der hessischen Landesregierung, auf dem Kongress „Hessen Digital“. Das große Ziel sei es, den gesamten Verwaltungsablauf zu digitalisieren. Dafür habe das OZG einiges an Schwung gegeben, den man nun mitnehmen müsse. Wichtig sei darüber hinaus, die Volldigitalisierung der Verwaltung schon jetzt mitzudenken und nicht erst nach der OZG-Umsetzung.

Dem kann Joachim Kaiser, Direktor der Hessischen Zentrale für Datenverarbeitung (HZD), nur zustimmen. Neben der Volldigitalisierung brauche es jedoch auch eine Steigerung des Reifegrads: So müsste das Once-Only-Prinzip konsequent umgesetzt werden, auch müsse man über für den Bürger vorausgefüllte Anträge nachdenken. Klar ist für ihn: „Wir müssen ganz konsequent in Richtung Cloud gehen.“ Nur so könnten die notwendige Verwaltungsagilität und die Service-Zuverlässigkeit hergestellt werden.

Zwei Berufe gefragt

Deutlich ist also, wie groß die Herausforderungen und Aufgaben sind, die auf die Behörden im Zuge der Digitalisierung zukommen. Gefragt ist also jede Menge qualifiziertes Personal, um die Aufgaben adäquat bearbeiten zu können. Generell seien alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gefragt: „Niemand darf sich heute mehr der Digitalisierung entziehen, das haben wir durch die Pandemie gelernt“, erklärt der CDO der Stadt Darmstadt, Joachim Fröhlich. Im Detail benötige man aber zwei verschiedene Berufe. Einmal brauche es digitale Lotsen, die Koordinierungsaufgaben übernehmen könnten. Mit der konkreten Umsetzung, wie zum Beispiel der Entwicklung digitaler Prozesse, müssten hingegen IT-Spezialisten beauftragt werden.

„Wir reden hier über Personen, die zur Zeit an allen Ecken und Enden fehlen“, konstatiert Dr. Beate Eibelshäuser, Leiterin des Fachbereichs Verwaltung an der Hessischen Hochschule für Polizei und Verwaltung (HfPV), in diesem Zusammenhang. Jedoch wolle man an dieser Stelle gegensteuern. Mit dem Studiengang „Digitale Verwaltung“ sollen vermehrt sogenannte „Digital Scouts“ ausgebildet werden. Diese übernähmen in der Verwaltung dann die Schnittstellenfunktion zwischen den Fachabteilungen und den IT-Spezialisten. „Diese Digital Scouts sollen dann auch Veränderungsprozesse in der Verwaltung begleiten“, so Eibelshäuser.

Die von der HfPV ausgebildeten Fachkräfte würden allein jedoch nicht reichen, um den Fachkräftemangel zu beheben. Das HZD kooperiere deswegen mit mehreren Hochschulen und diene als Praxisausbilder in dualen Studiengängen, wie HZD-Direktor Kaiser berichtet. Darüber hinaus müsse der Staat als Arbeitgeber attraktiver werden. Hier gehe es einerseits darum, die Arbeitskultur an die Anforderungen von jungen, digitalen Angestellten anzupassen, die andere Denkmuster hätten als alteingesessene Kräfte. Dazu komme noch ein anderer Faktor: „Bei der Bezahlung der IT-Fachkräfte haben wir zwar gut aufgeholt. Trotzdem müssen wir über dieses Thema in Zukunft noch einmal reden“, fordert Kaiser. Die benötigten Spezialisten ließen sich eben nicht in klassischen Tarifsystemen abbilden.

Gute Investition

Zumindest die Arbeitskultur scheint sich, teilweise gezwungen durch die Pandemie, modernen Anforderungen anzupassen. Auf dem Kongress herrscht große Einigkeit, dass andere Arbeitsformen wie mobiles oder hybrides Arbeiten in Zukunft auch in der Verwaltung nicht mehr wegzudenken sein werden. Was bleibt, ist die Frage nach dem Geld. Die von Kaiser geforderte höhere Bezahlung von Fachkräften muss finanziert werden, und ganz generell gilt: „Die Digitalisierung wird teuer, da müssen wir nicht drum herumreden“, ist Dr. Walter Wallmann, Präsident des Hessischen Rechnungshofes, überzeugt. Dies sei aber gut investiertes Geld.

Außerdem hofft Wallmann auf einige Einsparmöglichkeiten. Man müsse nicht immer das Rad neu erfinden, sondern auch mal über den Tellerrand hinausschauen und sich von Lösungen aus anderen Kommunen, Bundesländern und europäischen Nachbarn inspirieren lassen. „An dieser Stelle ist das EfA-Prinzip einfach der richtige Weg“, sagt der Rechnungshof-Präsident. Auch die neuen Arbeitsformen könnten Geld sparen, weil zum Beispiel längst nicht jeder Termin mehr vor Ort stattfinden müsse. Dieses gesparte Geld könnte letztendlich zum Beispiel wieder den Beschäftigten, vielleicht den dringend gebrauchten IT-Fachkräften, zugutekommen.

Das OZG ist erst der Anfang der Verwaltungsdigitalisierung, sind sich die Expertinnen und Experten auf dem erstmals durchgeführten Kongress „HEssenDIGITAL“ einig. Es braucht dringend qualifiziertes Personal. Screenshot: BS/Matthias Lorenz

Tinder für die Weiterbildung

Bei der Digitalisierung der Verwaltung geht es auch um Kompetenzen

Die Frist rückt immer näher: Laut OZG müssen bis Ende 2022 alle Verwaltungsdienstleistungen auch digital angeboten werden. Doch hinter dem Digitalisierungsprozess der Verwaltung steckt mehr als nur die Anschaffung moderner Technik: Es gehe darum, die Digitalisierung vom Menschen her zu denken, fordert die Hessische Ministerin für Digitale Strategie und Entwicklung, Prof. Dr. Kristina Sinemus, auf dem vom Behörden Spiegel veranstalteten Fachkongress HEssenDIGITAL. Außerdem sind innovative Lösungen, unter anderem für die Mitarbeiterweiterbildung, gefragt. Hier sei die Metropolregion Rhein-Neckar Vorreiter: Die von ihr entwickelte Plattform „KommunalCampus“ sei ein „Tinder für die Weiterbildung“, so der Landrat des in der Region gelegenen Landkreises Bergstraße, Christian Engelhardt.

„Die Digitalisierung soll dem Menschen nützen und nicht umgekehrt“, so Ministerin Sinemus. Grundlage für das Gelingen müsse eine gute und flächendeckende In­frastruktur sein. Wichtig sei jedoch auch, dass bei der Digitalisierung sowohl das gesellschaftliche Wertesystem einbezogen werde als auch ein Regelwerk, welches in die digitale Zukunft leiten solle. Sinemus erklärt dies am Beispiel KI: Hier wolle man in Hessen ressortübergreifend eine Art KI-TÜV entwickeln, der ein solches Regelwerk aufbaue. „Ziel ist es, dass KI in der Verwaltung oder an anderer Stelle verantwortungsbewusst und rechtskonform eingesetzt wird. Andererseits sollen Agilität und Zukunftsoffenheit ermöglicht werden“, so Sinemus. Bei der digitalen Verwaltung soll für die Ministerin die einfache und transparente Antragsstellung an erster Stelle stehen: „So wird erstens die Akzeptanz erhöht und zweitens die Arbeit der Verwaltung reduziert.“ Zur Umsetzung der Digitalisierung brauche es eine strategische Steuerung, alle Beteiligten müssten auf ein gemeinsames Ziel hinarbeiten. Diesen behördenübergreifenden Ansatz zu gewährleisten, sei auch Aufgabe eines Digitalministeriums. Ein solches Ministerium, welches auch über ein eigenes Budget und operative Verantwortung verfüge, wünscht sich Sinemus nach der Bundestagswahl auch für den Bund.

Auch wenn Behörden bei der Digitalisierung zusammenarbeiten müssen, stoßen sie je nach Kontext auf unterschiedliche Schwierigkeiten, zum Beispiel je nach Lage im ländlichen oder urbanen Raum. „Gerade durch die Digitalisierung lassen sich einige der im ländlichen Raum vorhandenen Standortnachteile lösen“, sagt Landrat Engelhardt. Grund sei, dass klassische Infrastruktur wie zum Beispiel im Bereich Medizin gut durch digitale Lösungen ergänzt werden könne. Aufbau der digitalen Infrastruktur sei eine öffentliche Aufgabe, da sich der Aufbau für Unternehmen im ländlichen Raum aufgrund fehlender Skaleneffekte nicht lohne.

Qualifizierte Mitarbeiter sind unerlässlich

Aus Engelhardts Ausführungen wird deutlich, wie wichtig die Kooperation von Gemeinden und Kreisen untereinander für das Gelingen der Digitalisierung gerade im ländlichen Raum ist. So werden in der Metropolregion mehrere Projekte, zum Beispiel ein 5G-Rettungsnetz oder ein geodatenbasierter Datenpool, vorangetrieben.

Neues Aushängeschild der Region soll jedoch der KommunalCampus sein. Die Herausforderung, qualifizierte Angestellte zu finden, beschränke sich längst nicht nur auf Informatiker. „Wir brauchen Mitarbeiter, die Spezialisten in ihrem jeweiligen Verwaltungsfachgebiet sind, gleichzeitig aber auch eine hohe digitale Kompetenz haben und sich mit Prozessmanagement auskennen“, so der Landrat.

Aus dieser Anforderung heraus sei die Weiterbildungsplattform entstanden. Dabei habe man sich für einen bedarfsorientierten Ansatz entschieden, erklärt Engelhardt. Jeder Weiterbildungsteilnehmer erhalte ein individuelles, aufeinander aufbauendes Weiterbildungsprogramm. Ähnlich wie bei der Dating-App Tinder würden auf KI basierende Match-Mechanismen eingesetzt. Mit Projekten wie diesen wolle man auch im ländlichen Raum bei der Digitalisierung vorne mit dabei sein, sagt Engelhardt.

40 Millionen Euro für KI

Exzellenzinitiative bündelt Forschungskompetenz des Landes

Das im letzten Jahr gegründete Hessische Zentrum für Künstliche Intelligenz (KI-Zentrum Hessen) erhält im Rahmen einer Exzellenzinitiative 40 Millionen Euro Landesmittel für insgesamt sechs Forschungsvorhaben. Das Geld soll genutzt werden, um intensive Grundlagenforschung, konkreten Praxisbezug mit Antworten auf wichtige Herausforderungen unserer Zeit und den Transfer in Wirtschaft und Gesellschaft zu leisten.

In der fünfjährigen Aufbauphase richtet das Land 20 zusätzliche Professuren für das Forschungszentrum ein. Prof. Dr. Kristian Kersting, Co-Sprecher des KI-Zentrums Hessen, berichtet auf HEssenDIGITAL über praktische Anwendungsbeispiele für die Künstliche Intelligenz (KI). Klassischerweise könnten Terminvereinbarungen wie Friseurbesuche rein über KI geregelt werden, auch Chatbots würden in der Nutzung immer beliebter. Allerdings betont Kersting, dass die KI oft noch mit menschlichen Operatoren zusammen agieren müsse. Einige Probleme könne die KI noch nicht lösen, deswegen seien die meisten Programme mit einer Weiterleitung zu einem Menschen ausgestattet. Ziel des hessischen Innovationszentrums sei das Erreichen der „Dritten Welle der KI“: „Das sind KI-Systeme, die menschenähnliche Kommunikations- und Denkfähigkeiten erwerben können“, berichtet der Co-Sprecher des Forschungszentrums.

Menschen werden sich mehr auf KI verlassen

Daniel Kahneman, ein israelisch-amerikanischer Psychologe beschreibt das Vertrauen der Menschen in die KI als einen Prozess. Noch vertrauten Menschen eher Menschen, allerdings würden sich diese zunehmend – vor allem nach positiven Erfahrungen – auf die Entscheidungen der KI verlassen, so Kahneman. Final werde die KI gegenüber der menschlichen Intelligenz gewinnen. In puncto Vertrauen, aber auch im Bereich des Erkenntnisgewinns, berichtet der Psychologe.

Verständnis über ­Zusammenspiel schaffen

Aufgrund dieser Erkenntnisse möchte das KI-Zentrum Hessen das Verständnis über das ­Zusammenspiel von KI-Algo­rithmen, KI-Systemen und ­Synergien zwischen Künstlicher und menschlicher Intelligenz schaffen. Hessens Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir ist überzeugt vom Projekt: „In der hessischen Wirtschaftsstruktur steckt ein besonderes Potenzial für die Anwendung Künstlicher Intelligenz. Schon jetzt nutzen in Hessen mehr Unternehmen KI als in anderen Bundesländern.“

Das KI-Zentrum Hessen möchte das Bundesland zum Vorreiter in der Nutzung von Künstlicher Intelligenz in Deutschland machen. Foto: BS/Gerd Altmann, pixabay.com

Vernetzte Verwaltung in Land und Kommunen

Als Plattform und Informationsdrehscheibe leistet die Veranstaltung HEssenDIGITAL einen Beitrag, dem Ziel der „digitalen Leitregion“ ein Stück näher zu kommen. Die Agenda „Digitale Verwaltung Hessen“ ist der Masterplan des Landes für Verwaltungsmodernisierung sowie digitales Verwaltungshandeln. Mit dem Hessischen E-Government-Gesetz wurde das notwendige rechtliche Fundament geschaffen. Durch das Onlinezugangsgesetz (OZG) hat die Verwaltungsdigitalisierung in Hessen eine weitere gesetzliche Grundlage sowie eine verbindliche Zeitvorgabe erfahren, denn das OZG sieht vor, alle Leistungen von Bund, Ländern und Kommunen bis Ende 2022 online anzubieten. Über den aktuellen Stand, die Fortschritte und noch zu meisternde Hürden informiert der Online-Kongress HEssenDIGITAL.

Highlights:

  • Keynote von Prof. Dr. Kristina Sinemus, Hessische Ministerin für Digitale Strategie und Entwicklung
  • Das Hessische Zentrum für Künstliche Intelligenz mit Prof. Dr. Mira Mezini, Sprecherin des Hessischen Zentrums für Künstliche Intelligenz, Leiterin des Fachgebietes Softwaretechnik am Fachbereich Informatik der Technischen Universität Darmstadt
  • Digitale Verwaltung in Hessen – Standortbestimmung und Ausblick mit Patrick Burghardt, CIO und Bevollmächtigter der Landesregierung für E-Government und Informationstechnologie, Staatssekretär für Digitale Strategie und Entwicklung; Joachim Fröhlich, CDO, Wissenschaftsstadt Darmstadt sowie Joachim Kaiser, Direktor, Hessische Zentrale für Datenverarbeitung HZD
  • Fachforum Verwaltung I: Digitale Verwaltungs-Workflows in Behörden mit Dr. Markus Unverzagt, Referatsleiter Digitale Transformation, Hessisches Ministerium für Digitale Strategie und Entwicklung; Ellen Till, Leitung Vertrieb, ekom21; Manfred Schehr, IT Produktmanager FISBOX, Hessische Zentrale für Datenverarbeitung HZD sowie Björn Kelschenbach, Leiter des Personal- und Ordnungsamtes, Stadt Wetzlar
  • Fachforum OZG II: Digitale Bürgerservices in Kommunen mit Dr. Karen Verbist, Leiterin der Koordinierungsstelle Digitale Verwaltung, Universitätsstadt Marburg sowie Sabrina Bechtle, Stabsstelle Projektsteuerung und stadtweite Organisationsentwicklung, Universitätsstadt Gießen

Hauptprogramm Teil 1

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Hauptprogramm Teil 2

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OZG I: Aktueller Stand der OZG-Umsetzung

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Verwaltung I: Digitale Verwaltungs-Workflows in Behörden

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Digitalisierung I: Smart City/Smart Region

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Infrastruktur I: Breitbandausbau in Hessen

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OZG II: Digitale Bürgerservices in Kommunen

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Verwaltung II: Digitale Kompetenzen der Beschäftigten

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Digitalisierung II: Digitale Souveränität

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Infrastruktur II: IT-Sicherheit in Land und Kommunen